Was der Wald uns schenkt
Warum empfinden wir einen Waldspaziergang als wohltuend? Was haben Fichten und Eichen mit unserem Lebensglück zu tun?
Unsere Sinne arbeiten im Wald schärfer als sonst, weil sie auf vielfältige Weise angesprochen werden. Wir betreten eine Welt, in der man unglaublich viel Entdecken kann. Ein Knacken im Geäst, Vogelgesang und es riecht nach Humus. Die Luft schmeckt frischer und die Füße betreten unebenen, weicheren Boden. Diese vielschichtigen Wahrnehmungen im Wald läuft bei dem einen bewusster, beim anderen weniger bewusster ab, aber stets führt sie dazu, dass wir uns lebendiger fühlen.
Im Alltag richten wir unsere Aufmerksamkeit oft auf einen ganz bestimmten Fokus; ein Gespräch, eine E-Mail oder Straßenlärm; uns sind dadurch geistig schnell erschöpft. Im Wald ist unsere Aufmerksamkeit zwar auch außerordentlich aktiv, allerdings sind die dortigen Reize weniger penetrant und gezielt. Dadurch können wir unsere Aufmerksamkeit, unsere Arbeitsgedächtnis als auch unsere Selbstbeherrschung regenerieren. Schon ein kleiner Spaziergang im Grünen vermag uns innerlich zu beruhigen.
Abseits der üblichen Pfade, gezielt weg vom Weg, erleben Beine und Füße etwas anderes, man schaut bewusster hin und entdeckt die Natur viel intensiver. Mit ein wenig Erfahrung erkannt man Tierspuren von Wildschwein, Hirsch oder Dachs. Unter einem Stück abgebrochener Rinde krabbeln Dutzende Asseln, kriechen Raupen durchs Holz und hasten Hundertfüßer davon. Mit etwas Glück entdeckt man schillernde Käfer oder bunte Wanzen. Im Verborgenen spielt sich unglaublich viel ab und jedem ist es in Deutschland erlaubt, in einen Wald zu gehen, auch einen Privatwald, sofern man nichts zerstört, Respekt zeigt und sich nicht in einem Naturschutzgebiet befindet.
Wer bewusst anderen Lebewesen begegnet, findet auch einen anderen Zugang zu sich selber.
Wenn wir uns auf den Moment einlassen, können wir das Erlebnis Wald noch vertiefen. Viele von uns sind gedanklich oft mit ihrer Vergangenheit beschäftigt - oder sorgen sich um die Zukunft. Doch die intensivsten Erlebnisse widerfahren uns, wenn wir uns auf die Gegenwart einlassen. Daher sollte man sich bewusst entscheiden: ich nehme mir jetzt die Zeit, gehe hinein in den Wald und öffne gleichsam meine Sinne.
Bäume kommunizieren über ihre Wurzeln und Pilzfäden miteinander. Raubinsekten locken andere Insekten mit Signalen an. Viele Arten leben auf nur einem einzigen Baum und auch der Tod ist wichtig für das Ökosystem Wald. Die Funktionszusammenhänge im Lebensraum Wald zu kennen ist wichtig, damit wir uns über unsere Rolle und unsere Verantwortung gegenüber diesem Ökosystem bewusst sein können.
Einigen ist die wilde Natur völlig fremd. Sie sind in der Stadt aufgewachsen oder haben die Natur nie richtig kennengelernt. Oder sie haben sich im Laufe der Zeit mehr und mehr entfremdet, weil in ihrem Alltag keinerlei Kontakt mehr zum Wald oder zur Natur stattfindet. Es gibt auch Menschen, die Angst vor dem Wald an sich haben. Er ist dunkel und unheimlich oder man fürchtet sich vor wilden Tieren, Spinnen und Schlangen. Doch der Wald führt einen immer wieder zu sich selber zurück. Stammesgeschichtlich kommen wir Nordeuropäer aus dem Wald. Er ist unser Zuhause. Der Wald hat etwas Nährendes und Heilendes - aber auch etwas Gefährliches. Daher ist der achtsame Umgang mit unserer natürlichen Heimat wichtig.
Je mehr Kinder Erfahrungen im oder mit dem Wald machen, desto offener und leichter nehmen sie die Natur auch im Erwachsenenalter wahr. Menschen, die nie im Wald waren, würden von allein nicht auf die Idee kommen, bewusst diesen Ort aufzusuchen. Durch den Kontakt zum Wald können Kinder unglaublich wertvolle Erfahrungen sammeln. Sie balancieren auf einem Stamm, entdecken einen Tunnel im Unterholz und klettern die Wurzeln eines umgestürzten Baumes hinauf. Kinder gewinnen mehr Vertrauen in ihren Körper und der Wald regt die Fantasie an. Sie erleben, dass ihre Bedürfnisse respektiert werden - ich darf hier losrennen, wenn ich losrennen will; ich darf laut schreien, wenn ich laut schreien möchte. Man könnte sagen: Viele Kinder kommen aus dem Wald einen Kopf größer heraus, als sie hineingegangen sind.
Der perfekte Weg für Waldbesucher sollte unbedingt verschlungen und so naturnah, so entdeckungsreich wie möglich sein. Schmale Wege, die immer wieder über kleine Aussichtspunkte führen und dann wieder hinein ins Dickicht. So sind besonders viele Aha-Momente möglich. Die kleinen Wege sind grundsätzlich die interessanteren.
Der Wald ist Analog - Darin liegt seine große Kraft
Die Natur ist analog. Und genau darin liegt ihre große Kraft. Der Wald verschafft uns die Möglichkeit, aus dem durch Technik, digitale Angebote und Reize immer stärker bestimmten Alltag auszusteigen. Der Wald entschleunigt uns. Es gibt zwar viel zu sehen, zu stauen, aber da blinken keine Monitore, da piepsen keine eingehenden E-Mails oder Anrufe (Vorausgesetzt man schaltet das Handy auf lautlos oder lässt es im Auto). Die Erfahrungen, die wir in direktem Kontakt mit der Natur sammeln, erdet uns. Wer einen Waldspaziergang unternimmt, merkt auch schnell, dass er - im Gegensatz zum Alltagsleben - nicht alle paar Minuten einen neuen Kick braucht.
Wir alle sehnen uns nach Sinneserfahrungen, die uns das Gefühl geben, dass wir mit der Welt in echter Verbindung stehen. Dieses Gefühl kann uns zu einem bestimmten Grad nur die Natur vermitteln. Aus der Hektik des Alltages kommend, aus der Gier nach immer mehr Reizen, fallen viele Menschen im Wald in eine aufmerksame Ruhe zurück. Eine Ruhe, die unser Gehirn zur Regeneration braucht und die immer weniger Menschen in ihrem Alltag finden. Derartige Erfahrungen im Wald entziehen sich der üblichen Logik von Beschleunigung und Steigerung. Die tiefe Befriedigung, die wir in der Natur erleben, ist eben nicht steigerungsfähig, sie ist auch gar nicht steigerungsbedürftig. Es muss beim nächsten Mal nicht noch actionsreicher oder schneller sein. Man macht vielmehr die Erfahrung, dass man mit weniger zufriedener sein kann. Und darin liegt vielleicht das größte Geschenk, das uns der Wald machen kann.
Vielen Dank für Dein Interesse
Liebe Grüße
Sophie & Chris
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